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Kober-Studie
1.Thema
2.Begriff Zwangsarbeiter
3.Zwangsarbeiterdiskussion
4.Metzingen im 3. Reich
5.Das
6.Leben als Zwangsarbeiter
7.Die Firma Hugo Boss
8.Positive Beispiele
9.Schlussbemerkung
10.Bibliografie
Timm-Studie
1.Inhaltsverzeichnis
2.Zusammenfassung
3.Einleitung
4.Hugo Boss
5.Firmengesch. vor 45
6.Firmengesch. nach 45
7.Entnazifizierung
8.Abbildungen
9.Literatur
10.Quellen
11.Recherechebericht
Impressum
Presse-Veröffentlichung
5. Firmengeschichte vom Kaiserreich bis zum Kriegsende

Hugo Boss als selbständiger Kaufmann

Gründung der Kleiderfabrik und Geschäftsentwicklung bis Kriegsende 1945

Zwangsarbeiter/innen in der Firma von Hugo Boss

Häftlinge aus dem "Arbeitserziehungslager" Aistaig

Kriegsgefangene

KZ-Häftlinge

Weitere ausländische Arbeitskräfte

Betriebsverlagerung in die Produktionsräume der Firma Hugo Boss

 

 

Hugo Boss als selbständiger Kaufmann

Nach dem Tod seines Vaters übernahm Hugo Boss 1908 das Manufakturwaren- und Aussteuergeschäft, das seine Eltern seit den 1870er Jahren in Metzingen geführt hatten, und das zunächst in der Hindenburgstraße 10, später in der Kronenstraße 2 untergebracht war. 1914 wurde er als Obergefreiter eingezogen und 1918 im gleichen Rang wieder entlassen. Anschließend arbeitete er wieder als Kaufmann in seinem Laden.

 

 

Gründung der Kleiderfabrik und Geschäftsentwicklung bis Kriegsende 1945

 

Weimarer Republik: Krisen und Gläubigervergleich

Nach der Inflation 1923 wechselte Hugo Boss vom Verkauf zur Produktion: Er gründete im Januar 1924 eine Kleiderfabrik, an der zunächst auch die Metzinger Brauereibesitzer Albert und Theodor Bräuchle zu je einem Drittel beteiligt waren. Die Firma produzierte anfangs Windjacken, Wäsche und Herrenoberhemden, später auch Arbeitskleidung, Sportartikel und Regenmäntel. 1925 hatte sie 33 Beschäftigte und gehörte damit zu den acht größten von insgesamt 18 Textilfirmen in Metzingen.

Für 1926 ist dann bereits die erste Krise überliefert: Wie fast alle Metzinger Betriebe meldete Hugo Boss für seine damals 33 Beschäftigten Kurzarbeit an.

Im Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise nach dem New Yorker Börsenkrach von 1929, so Boss selbst, "ging auch mein Geschäft immer mehr zurück", er habe "nur noch Jagdanzüge, Trachtenjoppen, Lederjacken, Gummimäntel, blaue Arbeitsanzüge u. dgl." produziert. Die Zahl seiner Beschäftigten sank bis auf 22 Arbeiter und Angestellte 1930. 1931 schließlich schloß er einen Vergleich mit seinen Gläubigern. Diese vermieteten ihm, so Boss, "6 Nähmaschinen", mit denen er "wieder von vorne anfangen" mußte; außerdem standen ihm "einige meiner Arbeiter und Arbeiterinnen" bei, indem sie "um einen geringen Lohn" bei ihm weiterarbeiteten.

 

1933 bis 1945: Expansion

Ein branchenspezifischer Blick auf die regionale Wirtschaftsgeschichte ab 1933 zeigt die Spezifick der Geschäftsentwicklung der Firma Boss: Die Textilindustrie, die vor allem im Süden Württembergs dominierte, war die Branche, der die nationalsozialistische Autarkiepolitik die größten Nachteile brachte. Einfuhrverbote (beispielsweise für Baumwolle), Exportverbote, Rohstoffkontingentierung, Arbeitskräftelenkung und Betriebsstillegungen zugunsten der Rüstungsbetriebe im Metallsektor trafen zuallererst die Firmen dieser Branche, es sei denn, sie galten als "kriegswichtig". Die Firma von Hugo Boss jedoch hatte, ebenso wie andere Textilbetriebe, die beispielsweise "kriegswichtige" Produkte herstellten, eine Sonderposition, die sie vor solchen Schwierigkeiten, mit denen der gesamte Textilsektor ab 1933 zu kämpfen hatte, nicht nur schützte, sondern sogar eine Expansion ermöglichte:

Den bisher verfügbaren Informationen zufolge expandierte der Betrieb von Hugo Boss in den 30er und 40er Jahren sowohl in Bezug auf die Zahl der Beschäftigten, als auch räumlich: 1925 arbeiteten dort 33 Personen, dann stieg die Zahl an bis auf insgesamt 324 Arbeitskräfte im Jahr 1944. Die meisten Neueinstellungen gab es 1938 (78), 1939 (44) und 1943 (32). Unklar ist, ob in diesen Zahlen die ab 1940 bei Boss beschäftigten Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter/innen enthalten sind. 1938 vergrößerte Boss den Betrieb räumlich, indem er von der Leder- und Handschuhfabrik A. Gänsslen jr. in Metzingen ein Fabrikgebäude in der Kanalstraße 6-8 erwarb. Dort war fortan die Produktion untergebracht. Außerdem eröffnete die Firma 1941 eine Produktionsfiliale in Hülben, und zudem betrieb Boss eine Niederlassung (vermutlich ein Rohstoff- oder Warenlager) in Tischardt.31.12.1945. Bezirksnotar Christian Dieter war der von der Besatzungsmacht eingesetzte Hauptbevollmächtigte für die "contrle des biens", d.h. der Treuhänder in Firmen, deren Leitung oder Inhaber als politisch belastet galten (Timm: Von der Produktion für die Besatzungsmacht zum "Wohlstand für Alle", S. 422f.). Er erwähnt in seinem Schreiben eine Bosssche "succursale … Tischenhardt", die er nicht beschlagnahmen konnte, weil das Dorf in der amerikanischen Besatzungszone lag.

Diese Expansion schlug sich in den Umsätzen und Gewinnen nieder. Auch wenn die Quellen keine sicheren Zahlen wie beispielsweise Gewerbesteuermeßbeträge beinhalten, so bieten die von Hugo Boss selbst gemachten Angaben doch eine Orientierung: 1932 betrug der Umsatz rund 38.260 RM, von 1938 auf 1939 verdoppelte sich der Umsatz von 1.040.842 RM auf 2.145.583 RM, 1941 belief er sich auf über 3,3 Millionen RM, und nach einem Tief bei rund 2.444.000 RM (1942) stieg er 1943 nochmals auf über 3 Millionen RM an, um dann 1944 wieder auf rund 2.850.000 RM zu sinken. Dem Metzinger Betrieb kam also die ideologische und militärische Aufrüstung im NS-Staat zugute; im Vergleich mit Metallrüstungsbetrieben, die beispielsweise von 1938 auf 1944 ein Umsatzplus von z.T. über 500 Prozent erreichten, lagen die bei Boss erzielten Steigerungen jedoch im unteren Bereich.

Den erzielten Gewinn bezifferte Hugo Boss für 1932 auf rund 5000 RM, für 1938 auf etwa 48.000 RM, für 1941 nannte er über 241.000 RM und für 1944 noch fast 156.000 RM. Neben diesen Angaben von Hugo Boss selbst enthält die Quelle eine Auskunft des Finanzamts Urach über das Einkommen von Hugo Boss, die als relativ sichere Information bewertet werden kann: 1938 belief es sich auf rund 48.200 RM, 1943 auf rund 121.000 RM und 1945 noch auf rund 26.300 RM. Diese Steigerungen sind dem Einkommensplus anderer Firmenchefs in der NS-Zeit vergleichbar.

 

Produktion für die Reichszeugmeisterei der NSDAP

Die Firma von Hugo Boss fertigte bereits in der Weimarer Republik im Auftrag der Reichszeugmeisterei Hemden und Uniformen für die NSDAP und ihre Gliederungen sowie für nationale Verbände, katholische Jugendverbände und andere Parteien bzw. deren angeschlossene Organisationen.

Auftraggeber für die Lieferungen an die NSDAP und ihre Gliederungen war vermutlich bereits ab 1928/29, sicher jedoch ab 1934 die Reichszeugmeisterei der Partei. Ab wann genau diese Geschäftsverbindung bestand, geht aus den Quellen nicht hervor; ebenso fehlen Informationen über den Umfang dieser Lieferungen.

In einer Geschäftsanzeige warb die Firma damit, "Lieferfirma für NSDAP-Uniformen seit 1924" zu sein. Wie die Lieferungen 1924, als die NSDAP verboten war, abgewickelt wurden, ist ebenfalls nicht nachvollziehbar. Von 1925 bis 1927, so Boss, ruhte diese Geschäftsverbindung. Nach eigenen Angaben produzierte er ab 1931 wieder für die NSDAP bzw. ihre Gliederungen, und zwar in sogenannter "Lohnarbeit", bei der ihm der Auftraggeber auch das Material lieferte. Die Firma stellte bis Kriegsende weiter Uniformen für die NSDAP, SA, SS und HJ her,c. 2989, Notar Dieter (siehe dazu Anm. 61) an die Reutlinger Militärregierung, 31.12.1945 u. 3.2.1946). außerdem gibt es Hinweise dafür, daß sie auch an die Feldzeugmeistereien der Wehrmacht lieferte,22.11.1946, u. Darlegung der Vermögenslage von Hugo Boss in Metzingen, o.D.). über Art und Umfang dieser Lieferungen geben die Quellen keine Auskunft. Informationen über die Aufgabenverteilung von Reichs- und Feldzeugmeistereien aus Götz/Weidlich: "Reichszeugmeisterei". und schließlich wurde auch weiterhin Arbeits- Sport- und Regenkleidung produziert. Ob die Partei jemals die einzige Auftraggeberin der Firma gewesen ist bzw. ab wann dies gegebenenfalls der Fall war, geht aus den Quellen nicht hervor.

Ein Blick auf die Partei- und Uniformgeschichte der NSDAP und SA ermöglicht die Einordnung dieser Informationen:

NSDAP und SA waren anfangs nicht einheitlich uniformiert gewesen, die meisten ihrer Mitglieder trugen Windjacke, graue Skimütze und eine Hakenkreuzarmbinde. Da die fehlende Uniformierung bei Straßenschlachten (die in der Weimarer Republik insbesondere vor den zahlreichen Wahlen an der Tagesordnung waren) Erkennungsprobleme mit sich brachte, führte Hitler selbst nach der Verbotszeit in seinen Richtlinien zur Neuaufstellung von NSDAP und SA erst 1925 das "Braunhemd" verbindlich für die SA ein. Getragen wurde es erstmals auf dem Weimarer NSDAP-Reichsparteitag 1926. 1927 wurde die Uniform ergänzt durch eine braune Mütze und farbige Spiegel und Abzeichen. Bis 1933 waren die Nationalsozialisten aber trotzdem nicht immer einheitlich uniformiert, vor allem weil viele kein Geld hatten, sich die entsprechenden Stücke zu kaufen; zudem schränkten verschiedenen Uniformverbote die propagandistische Selbstdarstellung der NSDAP und SA immer wieder ein.

Ab 1926/1927 durften alle Ausrüstungsgegenstände für die SA nur noch über die neu eingerichteten SA-Wirtschaftsstellen in München bezogen werden. Diese Stellen waren die Vorläufer der späteren Zeugmeistereien der NSDAP: 1928/1929 richtete die Partei ebenfalls in München eine eigene "Zeugmeisterei" für die SA ein, die unter "Reichszeugmeisterei" (RZM) firmierte  und damit über die SA-Zeugmeistereien in anderen deutschen Großstädten gestellt wurde. Götz/Weidlich ist die einzige Darstellung der Arbeitsweise dieser Institution. Ab 1934 mußten nach einer Anordnung Hitlers alle Beschaffungsvorhaben der NSDAP über die Münchner Stelle abgewickelt werden. Die Reichszeugmeisterei vergab die Lizenzen an Händler und Fabrikanten, normierte Gestaltung, Herstellung und Qualität und gab eine Farbkarte für Textilien heraus. Das "Schutzzeichen der Reichszeugmeisterei der NSDAP", das auch eine  Code-Nummer zur Identifizierung des Herstellers enthielt, wurde in, auf oder an jedem/jedes  Kleidungsstück eingenäht, aufgestempelt oder eingeprägt. Ohne einen Berechtigungsschein der RZM, für den eine Gebühr zu entrichten war, durfte kein Betrieb Parteiuniformen oder -ausrüstungsstücke verkaufen oder produzieren. Laut Angaben der RZM hatten bis Mitte 1934 reichsweit 15 000 Fabrik- und Handwerksbetriebe, 1500 Straßenhändler, 75 000 Schneidermeister und 15 000 Verkaufsstellen einen solchen Berechtigungsschein erhalten.

Einer dieser 15 000 Fabrik- und Handwerksbetriebe war die Firma von Hugo Boss. Boss' Aussage, daß der Umfang der Aufträge der NSDAP bzw. RZM" von München aus (also der NSDAP bzw. RZM, E.T.) im Verhältnis zur Belegschaftsstärke" festgelegt worden sei, erscheint angesichts der Tatsache, daß ein Vertreter der Firma selbst in Kooperation mit dem Arbeitsamt im besetzten Polen Zwangsarbeiter/innen rekrutierte, als zweckgebundene Entlastungsbehauptung im Rahmen der Entnazifizierung.

 

 

Zwangsarbeiter/innen in der Firma von Hugo Boss

Insgesamt waren in Metzingen in den Jahren 1939 bis 1945 über 1200 Zwangsarbeiter/innen beschäftigt. Die Firma von Hugo Boss beschäftigte in der NS-Zeit insgesamt etwa 30 bis 40 Kriegsgefangene und etwa 150 Zwangsarbeiter/innen. Sie waren aus den baltischen Staaten, Belgien, Frankreich, Italien, Österreich, Polen, der Tschechoslowakei und der damaligen Sowjetunion deportiert bzw. zwangsverpflichtet worden. Neben Hilfsarbeitern handelte es sich dabei vor allem um ausgebildete Textilfacharbeiter/innen, d.h. Schneider/innen oder Näherinnen. Das Durchschnittsalter der bei Hugo Boss beschäftigten Zwangsarbeiter/innen - der Frauenanteil betrug über 75 Prozent - war 20 bis 25 Jahre, die jüngsten bzw. ältesten waren 1926 bzw. 1885 geboren.

Auch wenn die Quellen wenig genaue Details über ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen bieten, so ermöglichen sie und der historische Hintergrund doch eine Einschätzung der Art und des Umfangs dieser Zwangsarbeiterbeschäftigung. Zur Verifizierung und Ergänzung dieser Informationen sollten Zeitzeugen, also ehemalige Zwangsarbeiter/innen und damalige Metzinger Beschäftigte der Firma, befragt werden.

 

 

Zwangsarbeiter: Wirtschaftliche Zusammenh“nge und rechtliche und ideologische Absicherung

Nachdem im Deutschen Reich 1937/38 fast alle Branchen Vollbeschäftigung verzeichneten, wurde der Arbeitskräftemangel gerade auch wegen der zunehmenden Aufrüstung zu einem immer größeren Problem. Die Landwirtschaft konnte bereits Ende 1940 ohne die rund zwei Millionen Zwangsarbeiter nicht mehr produzieren, und spätestens 1941 wäre die deutsche Kriegswirtschaft ohne Zwangsarbeiter zusammengebrochen. Im Herbst 1944 arbeiteten fast 8 Millionen Zwangsarbeiter im Gebiet des Deutschen Reiches, das heißt daß jede fünfte Arbeitskraft ein Ausländer oder eine Ausländerin war. Fast sechs Millionen Menschen hatte man als zivile Zwangsarbeiter verschleppt, rund zwei Millionen arbeiteten als Kriegsgefangene, und etwa 700 000 waren KZ-Häftlinge, die der SS unterstanden und nach der Nazi-Diktion "Vernichtung durch Arbeit" zu Tode geschunden wurden.

Um den Einsatz ausländischer Arbeiter ideologisch abzusichern, schuf das NS-Regime unter anderem mit den sogenannten "Polenerlassen" (März 1940) und "Ostarbeitererlassen" (1942) einen rechtlichen und sozialen Sonderstatus, der die Zwangsarbeiter unter anderem qua geringerem Lohn, schlechterer Ernährung, schlechterer medizinischer Versorgung und Unterbringung entsprechend der Rassenideologie klassifizierte. Vom Lohn wurden beispielsweise den "Ostarbeitern" zudem Steuern, eine sogenannte 15prozentige "Sozialausgleichsabgabe", Kranken- und Sozialversicherungsbeiträge sowie Kosten für Unterkunft und Verpflegung abgezogen. Während sich Zwangsarbeiter aus Frankreich, Belgien und den Niederlanden frei bewegen und Gaststätten und Kinos besuchen durften, gab es für Zwangsarbeiter aus dem Osten (Polen, Rußland, etc.) weitere Einschränkungen: Sie mußten ein Abzeichen tragen ("P" bzw. "Ost"), durften keinen Kontakt zu Deutschen unterhalten und die Kirche nicht besuchen, außerdem war ihnen die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel verboten, und auf Geschlechtsverkehr mit Deutschen stand die Todesstrafe. Der gesetzlich garantierte Urlaub für sie wurde immer wieder ausgesetzt bzw. willkürlich gewährt, bis die Urlaubsregelung und die Rückkehr nach Polen schließlich 1942 ganz gestrichen wurden.

 

Die Organisation des Zwangsarbeitereinsatzes

Der Zwangsarbeitereinsatz unterstand zunächst vom Reichsarbeitsministerium, ab 1942 dann dem neu ernannten "Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz", Fritz Sauckel. Wollte ein Betrieb Zwangsarbeiter einstellen, mußte er beim zuständigen Arbeitsamt einen Antrag einreichen. Auf der Grundlage dieses Gesuchs wurden dann die Arbeitsverträge zwischen den Betrieben und den Zwangsarbeitern abgeschlossen. In Ausnahmefällen, insbesondere wenn Facharbeiter gesucht wurden, beteiligten die Arbeitsämter Vertreter von Betrieben und Fachverbänden an der "Anwerbung" in bzw. Auswahl von Zwangsarbeitern für die Verschleppung aus den besetzten Gebieten. In Briefen oder bei Erzählungen im Heimaturlaub wurde die Diskrepanz zwischen den Versprechungen der "Arbeitsvermittler" und der Realität im rassistisch organisierten deutschen Alltag offensichtlich. Immer mehr kamen aus dem Urlaub nicht mehr an ihren Arbeitsplatz in Deutschland zurück. Die deutschen Behörden gingen daraufhin zu massiveren Zwangsrekrutierungen über, schließlich wurden unter anderem in Polen regelrechte Razzien (z.B. in Kinos) durchgeführt, um Zwangsarbeiter ins Deutsche Reich zu deportieren. Die dabei anfallenden Kosten mußten die späteren Arbeitgeber den Arbeitsämtern dann ersetzen.

Mit den genannten Gesetzen war zwar der rechtliche Rahmen für die Beschäftigung von Zwangsarbeitern definiert, dennoch hatten die Betriebe, in denen die Zwangsarbeiter arbeiteten, einen Spielraum, den sie zugunsten oder zuungunsten der Zwangsarbeiter ausnutzen konnten: Verpflegung, Kleidung, medizinische Versorgung, Unterbringung, alltägliche rassistische Diskriminierung, Meldungen an Gestapo, NSDAP, Polizei oder an das Arbeitsamt - all das hing letztlich vom Handeln der deutschen Kolleginnen und Kollegen und von der Firmenleitung ab. Außerdem verlagerten sich vor allem in der letzten Kriegsphase Entscheidungen immer mehr auf die regionale und lokale Ebene.

 

Belgier/innen

Mindestens zwei Belgier/innen arbeiteten ab 1941/42 bei Hugo Boss. Den Hintergrundinformationen zufolge wurden sie zwangsverpflichtet und zur Arbeit ins Deutsche Reich deportiert: Nach dem "Dienstverpflichtungsgesetz" vom Oktober 1942 konnten belgische Frauen und Männer auch zur Arbeit im Deutschen Reich verpflichtet werden; die Arbeitsverträge wurden dieser Regelung zufolge generell für unbefristete Dauer abgeschlossen. S. 35ff.; Herbert: Fremdarbeiter, S. 181. Dort auch das Folgende. Die "Werbestellen" der deutschen Arbeitsämter in Belgien lockten die "Dienstverpflichteten" mit einer "Familienunterstützung" bei "freiwilliger" Meldung. Bei Verweigerung des Arbeitseinsatzes drohten mehrmonatige Haftstrafen.

F.A. arbeitete von März 1942 bis Mai 1945 als Maschinenmechaniker bei Hugo Boss; die Näherin J.B. war dort von Januar 1941 bis August 1941 und dann wieder von März bis September 1942 beschäftigt. Der Adreßangabe auf den Meldekarten zufolge lebten sie nicht im Zwangsarbeitersammellager, sondern in anderen Quartieren.

 

Flüchtlinge und Zwangsarbeiter/innen aus den baltischen Staaten

In der Firma von Hugo Boss arbeiteten mehrere Litauer/innen. Nach eigenen Aussagen "kam" eine achtköpfige Familie (zwei Erwachsene und sechs Kinder) 1943 nach Metzingen "um bei der Firma Hugo Boss, Metzingen, Arbeit und Brot zu finden". Drei Mitglieder der Familie arbeiteten im Juni 1947 noch bei Boss.

Litauer waren im Zusammenhang mit dem zweiten Weltkrieg aus verschiedenen Gründen und zu verschiedenen Zeiten nach Deutschland gekommen bzw. deportiert worden: Im Rahmen des Hitler-Stalin-Pakts wurden sogenannte "deutschstämmige" Gruppen ins Deutsche Reich umgesiedelt, Angehörige der baltischen Intelligenz flohen nach der sowjetischen Besetzung der Republik Litauen im Juni 1940, nach der deutschen Besetzung ab Sommer 1941 wurden Arbeitskräfte ins Deutsche Reich deportiert, und 1944 schließlich flohen viele vor dem sowjetischen Vormarsch nach Deutschland. Ebenso wie bei den Angehörigen der anderen baltischen Staaten war auch bei den Litauern die Rückkehrerquote nach Kriegsende sehr gering - nicht nur, weil ihre Heimat von der Sowjetunion besetzt war, sondern auch, weil sie im Verdacht standen, in hohem Maße mit dem deutschen Besatzungsregime kollaboriert zu haben und an Kriegs- und NS-Verbrechen beteiligt gewesen zu sein.

Für die bei Boss arbeitenden Litauer kann auch vor diesem Hintergrund nicht sicher gesagt werden, unter welchen Umständen sie ihr Land verlassen haben bzw. verlassen mußten: Das von ihnen genannte Datum ihrer Ankunft in Metzingen (1943) läßt vermuten, daß sie zur Arbeit deportiert worden waren. Es könnte jedoch auch sein, daß die Familie 1943 zwar nach Metzingen kam, aber schon früher nach Deutschland geflohen war.

Ebenfalls aus den baltischen Staaten, nämlich aus Lettland, kam eine Arbeiterin. Sie bezeichnet sich als "Deportierte." Sie arbeitete bis mindestens Februar 1945 in der Firma Boss und kehrte nicht sofort nach Kriegsende in ihre Heimat zurück, was aus der Reutlinger Anschrift auf ihrer Erklärung von 1947 in der Entnazifizierungsakte hervorgeht.

Die ersten Letten waren im Zusammenhang mit dem Hitler-Stalin-Pakt nach Deutschland gekommen: Vor dem zwangsweisen Beitritt zur UdSSR kamen Flüchtlinge ins Deutsche Reich, außerdem gab es zu diesem Zeitpunkt Umsiedlungsaktionen, bei denen sogenannte "deutschstämmige" Volksgruppen aus dem Baltikum, also auch aus Lettland, ins Deutsche Reich gebracht wurden, während der deutschen Besetzung wurden dann wie aus Litauen auch Zwangsarbeiter nach Deutschland deportiert, und als die sowjetische Armee Lettland ab 1944 zurückeroberte, gab es wiederum eine Fluchtwelle. Ebenso wie bei den Angehörigen der anderen baltischen Staaten war auch bei den Letten die Rückkehrerquote nach Kriegsende sehr gering - nicht nur, weil ihre Heimat von der Sowjetunion besetzt war, sondern auch, weil sie (ebenso wie die Litauer) im Verdacht standen, in hohem Maße mit dem deutschen Besatzungsregime kollaboriert zu haben und an Kriegs- und NS-Verbrechen beteiligt gewesen zu sein.

Im Zusammenhang mit diesen Hintergrundinformationen ist zur lettischen Arbeiterin bei Hugo Boss folgendes festzustellen: Da sie sich selbst als "Deportierte" bezeichnet, kann man annehmen, daß sie entweder im Rahmen der Umsiedlungsaktionen oder als Zwangsarbeiterin nach Deutschland deportiert wurde.

 

Französinnen und Franzosen

32 der Zwangsarbeiter/innen in der Firma Boss kamen aus Frankreich.

Ab 1941 arbeiteten 15 Französinnen mehrere Monate bis maximal ein Jahr bei Hugo Boss als N“herinnen und Hilfsarbeiterinnen. Den Adreßangaben auf den Meldekarten zufolge lebten sie in Quartieren in der Stadt. Fünf Französinnen mußten bis Kriegsende im Betrieb arbeiten.

Fünf Frauen und drei Männer aus dem Elsaß galten nach der nationalsozialistischen Rassenideologie als "eindeutschungsfähig" bzw. als "Volksdeutsche". Sie arbeiteten von Frühjahr 1943 bzw. Sommer 1944 bis April/Mai 1945 bei Hugo Boss. Auch sie mußten nicht im Zwangsarbeiterlager leben, sondern waren in anderen Quartieren untergebracht.

Ein Franzose kam erst im März 1945 aus Dresden nach Metzingen, wo er dann bis Kriegsende bei Hugo Boss arbeitete.

Das französische Ehepaar V. arbeitete "in der Eigenschaft eines von der S.T.O. Verschickten", so L.V., in der Firma von Hugo Boss.

"STO" ist die Abkürzung für "Service du Travail Obligatoire". Das STO-Gesetz trat im besetzten Teil Frankreichs am 16. Februar 1943 in Kraft. Schon das erste Dienstpflichtgesetz vom 4. September 1942 hatte im besetzten Frankreich die Möglichkeit der Dienstverpflichtung von Männern im Alter von 18 bis 50 Jahren und von Frauen zwischen 21 und 35 geschaffen. Nun konnten alle Männer im Alter von 20 bis 50 Jahren zu einem zweijährigen Zwangsarbeitsdienst verpflichtet werden. Diese beiden Gesetze bzw. ihre Verschärfungen (u.a. das erweiterte Dienstpflichtgesetz vom 1. Februar 1944) waren die Grundlage für alle weiteren Dienstverpflichtungen im besetzten Frankreich.

Bei Verweigerung des Dienstes drohten Gefängnisstrafen von drei Monaten bis fünf Jahren sowie Geldbußen. Der Arbeitsdienst hatte vor allem die Deportation von Franzosen zur Arbeit im Deutschen Reich zum Ziel. Die Dienstpflichtigen mußten sich zunächst in der jeweiligen Bürgermeisterei statistisch erfassen lassen; außerdem wurden sie nach einer medizinischen Untersuchung in "Tauglichkeitsstufen" eingeteilt. Diejenigen, die flüchteten, und denen die Flucht nicht gelang, wurden nach der Festnahme in überwachte Sammellager gebracht und von da aus ebenfalls deportiert, wobei man sie zur Strafe ohne Rücksicht auf die medizinische Untersuchung in die Kategorie der Schwerstarbeiter einteilte. Gegen den STO (und gegen die anderen Dienstverpflichtungen) gab es in Frankreich, sowohl verdeckt z.B. durch die Résistance (die aufgrund des Kampfs gegen den STO großen Zulauf hatte) Widerstand, als auch offenen Protest bei der Abfahrt der Züge mit den Deportierten nach Deutschland. Der damals 29 Jahre alte L.V. und seine 22 Jahre alte Ehefrau M.V. wurden in Frankreich unter Strafandrohung zwangsweise erfaßt und mit einem Massentransport nach Deutschland deportiert, wo sie vom 28. Februar 1944 bis Juni 1945 bei Hugo Boss arbeiteten. Im Gegensatz zu den eingangs genannten Französinnen lebten sie im Metzinger Zwangsarbeiterlager.

 

Italiener/innen

Acht der Zwangsarbeiter bei Hugo Boss kamen aus Italien.

Arbeitsmigration aus Italien nach Deutschland hatte es bereits im Kaiserreich gegeben. In der NS-Zeit forderte Deutschland erstmals 1937 Arbeitskräfte aus Italien an. Die befreundete Achsenmacht kam diesem Wunsch (auch wegen der hohen Arbeitslosigkeit in Italien) nach, und Ende 1937 legte ein Vertrag die Zahl der Arbeitskräfte und die Art des Arbeitseinsatzes fest. Diese staatlich organisierte Arbeitskräftewanderung ist also bereits als Zwangsmigration zu bezeichnen. Dies setzte sich auch nach dem Kriegseintritt Italiens im Juni 1940 verschärft fort, wobei das Spektrum von der "Anwerbung" "Freiwilliger" mit Hilfe höherer Löhne in Deutschland bis zur Auskämmung von Betrieben nach Facharbeitern reichte. Als nach dem Frontwechsel Italiens im September 1943 auch verstärkte Anwerbeaktionen erfolglos blieben, ging die deutsche Besatzung schließlich zu Zwangsdeportationen und Razzien über, mit denen sie sogar auf dem Rückzug noch Dörfer nach Arbeitskräften durchsuchte.

Sowohl die Näherin C.W. und der Schneider T.P., die bereits ab 1941 bei Hugo Boss arbeiteten, als auch die sechs anderen italienischen Männer und Frauen, die ab Frühjahr/Sommer 1944 dort arbeiten mußten, sind diesen Informationen zufolge zwangsweise erfaßt und zur Arbeit nach Deutschland deportiert worden.

 

Österreicher/innen

Zwischen 1937 und 1947 arbeiteten ein Schneider und sechs N“herinnen aus Österreich für mehrere Monate in der Firma Hugo Boss. Den Meldekarten zufolge wohnten sie nicht im Sammellager, sondern in anderen Quartieren.

Die deutsche Industrie hatte nach dem sogenannten "Anschluß" im März 1938 nicht nur die Österreichischen Rohstoffvorkommen (u.a. Eisenerz, Holz, Erdöl) ausgebeutet, sondern sie profitierte auch von den Arbeitskräften des Alpenlandes. Schätzungen zufolge wurden rund 100 000 Österreicher, vor allem landwirtschaftliche Arbeitskräfte und Facharbeiter, zur Arbeit nach Deutschland zwangsverpflichtet.

 

Polinnen und Polen

In der Einwohnermeldekartei und in anderen Quellen ist dokumentiert, daß Hugo Boss in den Jahren 1940 bis 1945 etwa 70 Zwangsarbeiter/innen aus Polen beschäftigte.

Die Informationen über die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Zwangsarbeiter/innen aus Polen sind im Vergleich zu denen über andere Ausländer detailliert: F.R., die offenbar die Werksküche der Firma leitete, berichtet im Entlastungsschreiben für Hugo Boss folgendes: Im Mai 1940 seien der Firma durch das Arbeitsamt zwölf Polinnen aus Bielitz zugewiesen worden. Ein Angestellter von Hugo Boss sei eigens zur Anwerbung von Arbeitskräften dorthin gefahren. Die zwölf Frauen seien "nicht gezwungen worden, sondern haben sich aus eigenem Antrieb zur Arbeit gemeldet". Bei Kriegsende hätten insgesamt 30 Polen und Polinnen in der Firma gearbeitet.

Aus einem Schreiben ehemaliger Zwangsarbeiterinnen geht hervor, daß die Polinnen als N“herinnen arbeiteten und einige von ihnen zum Zeitpunkt ihrer Arbeit in Metzingen sehr jung waren (z.B. 14 Jahre).

Die von F.R. geschilderte Anwerbung über einen Vertreter der Firma deckt sich mit der oben geschilderten Organisation der Zwangsarbeit. Für das benachbarte Reutlingen beispielsweise ist derselbe Ablauf (gezielte Rekrutierung von Facharbeitern durch Vertreter der deutschen Firma in den besetzten Gebieten) dokumentiert worden.

Daß der oben erwähnte Arbeitsvermittler der Firma Hugo Boss genau wußte, wohin er fuhr, zeigt ein Blick auf die wirtschaftsgeographische Karte: Das ca. 50 km südlich von Kattowitz gelegene Bielsko (dt. Bielitz) war das Zentrum der polnischen Textilindustrie, die Stadt war insbesondere wegen ihrer Tuchherstellung bekannt. Die Firma hatte sich in Polen also ganz gezielt Textilfacharbeiterinnen gesucht. Da die deutschen Arbeitsämter in Polen unter anderem mit hohen Löhnen und guter Unterbringung warben, konnte es durchaus der Fall sein, daß sich die zwölf Polinnen "freiwillig" zur Arbeit im Deutschen Reich gemeldet hatten.

Etwa 15 der Polen/Polinnen lebten (zeitweise) im Metzinger Ostarbeiterlager, die anderen wohnten in anderen Quartieren.

Eine besondere Stellung hatten die Polinnen und Polen, die gemäß der nationalsozialistischen Rassenideologie als "eindeutschungsfähig" eingestuft wurden: Nach dem Verständnis der deutschen Besatzer existierte der Staat Polen nach dem Überfall und Einmarsch dort nicht mehr, und die polnische Bevölkerung galt als staatenlos. Das Besatzungsregime schuf zudem eine "Deutschen Volksliste", in die sich ehemalige polnische Staatsangehörige (z.T. nach einer "Gesundheits- und Rasseuntersuchung") eintragen lassen konnten oder mußten, um dann die deutsche Staatsangehörigkeit zu erhalten.

Bei Hugo Boss arbeiteten 13 Polinnen und Polen, die das örtliche Einwohnermeldeamt als "Volksdeutsche", als deutsche Staatsangehörige "auf Widerruf" oder als "eindeutschungsfähig" führte. Im Gegensatz zu den anderen polnischen Zwangsarbeiter/innen lebte keine/r von ihnen im Zwangsarbeiterlager.

 

Tschechoslowakische Zwangsarbeiter/innen

Hugo Boss beschäftigte vor allem 1939/40 26 Arbeitskräfte aus der "Slowakei".

Die bei Boss beschäftigten tschechoslowakischen Arbeiter/innen mußten nicht im Zwangsarbeiterlager leben; sie waren in anderen Quartieren untergebracht.

 

Zwangsarbeiter/innen aus der damaligen Sowjetunion

In der Firma Hugo Boss arbeiteten insgesamt acht Zwangsarbeiter aus der damaligen Sowjetunion. Der erste ukrainische Zwangsarbeiter arbeitete ab Juli 1941 in der Firma, die anderen folgten 1942 und 1943/44.

Aus den Quellen geht hervor, daß einige der russischen Zwangsarbeiter bis Mai 1943 auf dem Firmengelände untergebracht waren,19.5.1943. danach mußten sie vermutlich im neu gebauten Metzinger Zwangsarbeiterlager leben.

Drei der Russinnen hatten, ähnlich wie manche der polnischen und französischen Zwangsarbeiter, einen Sonderstatus als sogenannte "Volksdeutsche"; sie lebten nicht im Zwangsarbeiterlager, sondern in anderen Quartieren in der Stadt.

 

Zwangsarbeiter, deren Herkunft unbekannt ist

In der Entnazifizierungsakte von Hugo Boss findet sich ein Entlastungsschreiben einer Ausländerin, die keine Angaben zu ihrer Herkunft macht. Dem Namen nach könnte sie aus Polen oder aus der damaligen Sowjetunion stammen. Ebenso ist nicht bekannt, woher der in den USA gebürtige Schneider N.K. stammte, den das Einwohnermeldeamt als "staatenlos" führte, und der von Oktober 1942 bis Februar 1943 bei Hugo Boss arbeitete.

 

Entlohnung

Ebenso wie die Verpflegungssätze war die Entlohnung der Zwangsarbeiter entsprechend der NS-Rassenideologie abgestuft. Während die Zwangsarbeiter aus dem Westen zum Teil denselben Lohn erhielten wie ihre deutschen Kollegen, mußten Polen und "Ostarbeiter" neben Lohnabzügen für Unterkunft und Verpflegung verschiedene Steuern und Abgaben leisten.

Zur Entlohnung der Zwangsarbeiter/innen in der Firma Hugo Boss liegen keine sicheren Informationen vor.

Es gibt lediglich folgenden Hinweis: Nach Angaben von vier polnischer Zwangsarbeiterinnen im Entnazifizierungsverfahren erhielten sie denselben Nettolohn wie die deutschen Beschäftigten der Firma: "Der Verdienst war derselbe wie bei den deutschen Arbeiterinnen, den Prämienzuschlag haben wir Polen ebenfalls bekommen. In der Woche hatten wir meistens einen Verdienst von RM 25.- bis 35.-, die Abzüge waren schon abgezogen."

Dies würde bedeuten, daß Hugo Boss gegen die oben genannten Sondergesetze für Zwangsarbeiter verstoßen hätte, die eine nach der Rassenideologie abgestufte Entlohnung vorsahen  - ein Verhalten, daß durchaus als "Resistenz" einzuordnen wäre. Wenn sie sicher belegt wäre, wäre eine solche gleiche Entlohnung eine Ausnahme, da Einzelfallstudien gezeigt haben, daß selbst bei betriebsinterner besserer Verpflegung und Unterbringung von Zwangsarbeitern diese stets nur einen Teil des Lohnes ihrer deutschen Kolleginnen und Kollegen erhielten. Falls er tatsächlich so gehandelt hat, erwuchsen Hugo Boss daraus jedenfalls keine Nachteile: In den Quellen fand sich kein Hinweis auf ein Verfahren wegen "Sabotage der Kriegswirtschaft" o.“.

Die zitierte Angabe der Polinnen erscheint jedoch im Vergleich mit Informationen aus anderen Studien relativ hoch; außerdem ist das zitierte Dokument bis zur Bestätigung durch Zeitzeugenberichte oder andere Unterlagen als sehr unsicher einzuschätzen, weil es sich offensichtlich um einen vorformulierten Text für die Entnazifizierung handelte.

 

Unterbringung

Wenn Firmen Zwangsarbeiter beschäftigen wollten, empfahl das zuständige Arbeitsamt in der Regel den Bau von Baracken auf dem Firmengelände. Oft taten sich aber auch mehrere Firmen zusammen und errichteten gemeinsam ein Sammellager, bei dem die Firmenanteile dann entsprechend den in Anspruch genommenen Unterkunftsplätzen berechnet wurden.

So auch in Metzingen: Ende 1940 schlossen sich 19 Industriebetriebe (darunter die Firma Hugo Boss) und die Stadtverwaltung zusammen und errichteten im Gewann Wasser ein Lager mit fünf Wohn-, einer "Küchen- und Speisen-" und einer "Waschbaracke" für 300 Zwangsarbeiter. Die Verpflegung der Zwangsarbeiter im Lager wurde den beteiligten Gesellschaftern monatlich in Rechnung gestellt.

Die Hütten für die sogenannten "Ostarbeiter" aus der damaligen Sowjetunion enthielten nichts außer Schlafgelegenheiten. Die hygienischen Bedingungen waren trotz "Waschbaracke" und der Möglichkeit, an einem Tag in der Woche das Metzinger Wannenbad in der Hindenburgschule zu benutzen, hier und auch in anderen Quartieren schlecht, wie Meldungen über Lausbefall und eine schwere tödliche offene Tuberkulose-Erkrankung zeigen.

Im Gegensatz zu den Metzingern konnten die Zwangsarbeiter bei Luftangriffen keinen Schutzraum aufsuchen. In den Quellen ist dokumentiert, daß die Zwangsarbeiter bei den immer häufigeren Luftangriffen 1945 den großen Metzinger Luftschutzstollen Im Auchtert aufsuchten, von den Metzingern dort aber vertrieben wurden. Eine Zwangsarbeiterin, zwei russische Zwangsarbeiter und ein 15jähriger Franzose (dessen Eltern bei Hugo Boss arbeiteten) wurden bei Fliegerangriffen getötet.

Das Zwangsarbeiterlager wurde von unbewaffneten Männern bewacht. In den Quellen fand sich kein Hinweis auf einen Fluchtversuch von Zwangsarbeitern aus diesem Lager.

Ende 1944 war das Sammellager erstmals vollständig, das heißt mit 300 Zwangsarbeitern belegt, 30 dieser Zwangsarbeiter arbeiteten bei der Firma Hugo Boss. Daneben gab es in Metzingen elf weitere kleine Lager für Zwangsarbeiter bei Firmen bzw. bei der Stadtverwaltung, eines davon bei der Firma Hugo Boss.

Die Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter/innen, die in diesem Sammellager lebten, kamen aus der damaligen Sowjetunion, Polen, Jugoslawien, Belgien, Frankreich und Holland. Entsprechend der nationalsozialistischen Rassenideologie waren die sogenannten "Westarbeiter" (Franzosen, Belgier, Holländer), "Ostarbeiter" (Zwangsarbeiter aus der damaligen Sowjetunion) und Polen nach Baracken getrennt untergebracht. Sie arbeiteten in verschiedenen Metzinger Betrieben; größere Gruppen von ihnen beschäftigten die Firmen Henning (sie produzierte Schmiedestücke für den Flugzeugbau, über 150 Fremdarbeiter), Holder (Hersteller von Holzgasnutzfahrzeugen, keine Zahlen verfügbar) und die Firma Hugo Boss (etwa 150 Zwangsarbeiter/innen).

Den Quellen zufolge lebten nicht alle der in der Firma von Hugo Boss beschäftigten Zwangsarbeiter/innen immer in diesem Lager: Eine 60jährige Polin habe auf Betreiben von Hugo Boss auch nach der Errichtung des Lagers in ihrem Privatquartier bleiben dürfen, eine litauische Familie berichtet, daß sie in einer Wohnung nahe dem Betriebsgebäude lebte, außerdem war eine unbekannte Zahl Zwangsarbeiter/innen aus der damaligen Sowjetunion und aus Polen auch nach der Errichtung des Lagers mindestens bis Mai 1943 auf dem Firmengelände untergebracht. über die Art der Unterbringung in oder bei der Firma Hugo Boss selbst und in den anderen Quartieren geben die Quellen keine Auskunft. Hier könnte eine Befragung ehemaliger Zwangsarbeiter/innen und anderer damaliger Beschäftigter der Firma Informationen bringen.

 

Ernährung

Die Lebensumstände der Zwangsarbeiter in Deutschland waren trotz der oben genannten Rechtsvorschriften sehr unterschiedlich. Auf dem Land ging es ihnen im allgemeinen besser, als in großstädtischen Industriebetrieben. Entscheidend war jeweils das Verhalten der Firmenleitung sowie der deutschen Kollegen. Eine firmenintern bessere Verpflegung von Zwangsarbeitern war vor allem in kleinen Betrieben durchaus keine Seltenheit. In Einzelfallstudien sind solche meist auch betriebswirtschaftlich motivierten Verstöße gegen die Vorschriften zur schlechteren Behandlung der Ausländer mehrfach dokumentiert worden.

Über die Ernährung der Zwangsarbeiter/innen in Metzingen und in der Firma Hugo Boss liegen keine (sicheren) Informationen vor. Es ist lediglich belegt, daß die Zwangsarbeiter/innen selbst auf dem Lagergelände Gemüse anpflanzten.

Hugo Boss hat die bei ihm beschäftigten Zwangsarbeiter/innen offenbar besser verpflegt als vorgeschrieben: Sowohl ein französischer Zwangsarbeiter als auch die Polinnen und die Zwangsarbeiter/innen aus den baltischen Staaten berichten in ihren Entlastungsschreiben, "daß die Nahrung sehr gut war", "daß die Verpflegung und Behandlung bedeutend besser war, als in allen andern Firmen in Metzingen", daß "unsere ganze Familie dort gut und reichlich verpflegt worden" sei, daß "Herr Boss (...) mir in seiner Kantine (...) gut zu essen gegeben" habe, daß sie "sehr gut verpflegt" worden seien. Als sich die Ernährungslage bei Kriegsende verschlechterte, intervenierte Hugo Boss Anfang 1944 bei der Lagergesellschaft mit dem Ziel, die bei ihm arbeitenden Polinnen in seiner Werkskantine (statt im Sammellager) zu verpflegen. Diese Informationen sollten ebenfalls durch die Befragung von ehemaligen Zwangsarbeiter/innen und anderen Beschäftigten des Betriebs verifiziert werden.

Hugo Boss äußerte sich auch selbst zu diesem Thema: Er habe sich um eine bessere Verpflegung der polnischen Zwangsarbeiterinnen bemüht, weil die Lagerverpflegung ein "menschenunwürdiger Fraß (...) mit dem kein Mensch arbeiten könne" gewesen sei. Bei der von Boss genannten Verbesserung der Verpflegung spielten also dieselben ”konomischen Überlegung eine Rolle, die auch andere Unternehmer zu solchen Handlungen bewegt haben. Die evt. bessere Verpflegung der Polinnen entsprang zweckrationalem wirtschaftlichem Denken.

 

Lebens- und Arbeitsbedingungen

Die schriftlichen Quellen enthalten nur wenig konkrete Angaben über die Lebens- und Arbeitsbedingungen der in der Firma Boss beschäftigten Zwangsarbeiter/innen. Insbesondere fehlt jegliche Information über die Versorgung von Kranken.

Indirekte Angaben darüber sind (neben den Todesfällen) die Informationen über Urlaub, Flucht und Haft von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern.

Mehrere Polinnen kehrten nach einem mehrwöchigen oder mehrmonatigen Aufenthalt in ihrer Heimat wieder an ihre Arbeitsstelle zurück. Nach der "Erklärung" von vier Polinnen für die Entnazifizierung von Hugo Boss habe es sich dabei um einen "Urlaub" gehandelt, den Boss mit einer "Fahrtvergütung" unterstützt habe. Dies hätte auch durchaus den Regelungen der Zwangsarbeit entsprochen, die auch für Zwangsarbeiter/innen aus Polen bis Anfang 1942 Urlaub vorsah. Solange die betroffenen Zeitzeuginnen sowie damalige Metzinger Beschäftigte dazu nicht befragt wurden, ist jedoch nicht sicher, unter welchen Bedingungen die Polinnen an ihre Arbeitsstelle bei Boss rückkehrten bzw. ob sie nicht Urlaub bekommen hatten sondern geflohen waren und dann erneut nach Metzingen deportiert wurden.

Auf Flucht gibt es folgende Hinweise: Bei einigen polnischen und französischen Zwangsarbeiterinnen sowie bei einer Tschechoslowakin der Firma Boss kann man aufgrund des Meldekarteneintrags "n. unbekannt" oder "n. unbekannt verzogen" in der Spalte "an-, ab- od. umgemeldet" davon ausgehen, daß sie geflohen sind oder aus einem gewährten Urlaub nicht zurückkehrten.

In den Quellen ist dokumentiert, daß eine polnische Zwangsarbeiterin von Hugo Boss 1940/41 drei Monate Haft in der Haftanstalt Gotteszell bei Schwäbisch Gmünd verbüßen mußte. Die Gründe bzw. das dieser Strafe zugrundegelegte Delikt ist nicht überliefert. Ebenso fehlen Informationen über die Haftbedingungen. Außerdem ist nicht bekannt, ob die Haft auf eine Anzeige von Hugo Boss oder Beschäftigten seines Betriebs bei der Polizei oder Gestapo zurückgeht.

Ebenso ist belegt, daß ein im Rahmen der STO nach Deutschland deportierter französischer Zwangsarbeiter der Firma Boss ab Ende 1944 im Gefängnis in Bad Urach inhaftiert war. Auch hier ist weder über den Anlaß noch über eine evt. Anzeige seitens der Firma oder über die Haftbedingungen etwas bekannt. L.V. stellte Hugo Boss zu dessen Entnazifizierung ein Entlastungsschreiben aus. Den Gefängnisaufenthalt erwähnt er darin nicht. L.V. bestätigt darin seine Zwangsarbeit in der Firma Boss und berichtet über die Behandlung der Zwangsarbeiter dort: "Ich bestätige, dass der Genannte mir und allen Ausländern gegenüber, die bei ihm gearbeitet haben, sehr zuvorkommend war, daß die Arbeit ausreichend entlohnt wurde, und daß die Nahrung sehr gut war. Ich habe nur die beste Erinnerung an diese Fabrik und ihre Leiter." Diese Angabe kann jedoch nicht als sicher bewertet werden: L.V. war zum Zeitpunkt der "Erklärung" als Unteroffizier in Konstanz stationiert, so daß er (im Gegensatz zu den als "Displaced Persons" kasernierten Zwangsarbeiter/innen aus Osteuropa) keinen Grund gehabt haben dürfte, Dokumente evt. unter Zwang und/oder ohne Kenntnis des Inhalts zu unterzeichnen. Das genannte Schreiben liegt jedoch in der Entnazifizierungsakte lediglich als nichtunterzeichnete "Übersetzung" vor, so daß es sich nicht um eine als sicher einzuschätzende Originalquelle handelt.

Schließlich geht aus den Quellen nicht hervor, aus welchen Anlässen und unter welchen Bedingungen der Wechsel von der Firma Hugo Boss zu einem anderen Arbeitgeber bzw. in "Lager" und an Orte erfolgte, über die nichts Genaueres bekannt ist.

Zur weiteren Aufklärung insbesondere der genannten Inhaftierungen sollten ebenfalls ehemalige Zwangsarbeiter/innen und andere damaligen Beschäftigte des Betriebs befragt werden. Gerade bei den hier genannten Punkten war es für die Lebens- und Arbeitsbedingungen entscheidend, wie die deutschen Beschäftigten und die Firmenleitung handelten, ob sie vorhandene Spielräume zugunsten der Zwangsarbeiter/innen ausnutzten oder mit Arbeitsamt, Partei, Polizei und Gestapo kooperierten.

 

Geburt und Tod

Solange es die Kriegslage noch erlaubte, wurden schwangere Zwangsarbeiterinnen in ihre Heimatländer zurückgeschickt; es gab aber auch Zwangssterilisationen und Zwangsabtreibungen bei Zwangsarbeiterinnen.

Im letzten Kriegsjahr stieg die Zahl der Geburten bei Zwangsarbeiterinnen im Deutschen Reich stark an. In der benachbarten Stadt Reutlingen beispielsweise kamen 1944 über 20 Kinder von Zwangsarbeiterinnen zur Welt. Für Metzingen liegt keine solche Gesamtzahl vor; außerdem fehlen Informationen über evt. erzwungene Abtreibungen und Sterilisationen bei Zwangsarbeiterinnen in Metzingen.

Sicher belegt sind folgende Geburten bei Zwangsarbeiterinnen der Firma Hugo Boss: Eine Österreichische Näherin gebar im September 1940 eine Tochter, eine französische Näherin gebar im Oktober 1943 eine Tochter, eine polnische Näherin brachte im November 1944 eine Tochter zur Welt und eine tschechoslowakische Schneiderin gebar zwei Kinder im Oktober 1942 und im März 1944.

Zur medizinischen Versorgung der schwangeren bzw. gebärenden Zwangsarbeiterinnen und zur Versorgung der Kindern sind bis auf den Tod eines Säuglings keine schriftlichen Informationen überliefert. Für Metzingen ist lediglich dokumentiert, daß der Landrat im Januar 1945 die Einrichtung von "Wochenstuben" plante, die Zwangsarbeiterinnen Platz und Versorgung bei der Geburt und drei Tage Ruhe bieten sollten. Dieser Plan wurde jedoch wegen Raummangel nie umgesetzt.

Außerdem hatte mindestens eine der bei Boss beschäftigten Zwangsarbeiterinnen ein Kind dabei: Eine Elsässerin war mit ihrer 10jährigen Tochter in Metzingen gemeldet. über die Lebensumstände dieses Mädchens ist nichts bekannt; ebenso ist nicht dokumentiert, ob sie arbeiten mußte.

Um hierzu genauere Informationen zu erhalten sollten ehemalige Zwangsarbeiterinnen und damalige Beschäftigte der Firma befragt werden.

 

Insgesamt kamen in Metzingen zehn Zwangsarbeiter/innen ums Leben: Eine Polin starb an Tbc, eine Russin erlitt laut Sterbebuch einen "Herzschlag", bei einem Kleinkind diagnostizierte der Arzt "Herzschlag" als Todesursache, der Säugling einer bei Hugo Boss beschäftigten Tschechoslowakin starb wenige Monate nach der Geburt ("Herzstillstand"), eine Polin (die bei Hugo Boss beschäftigt war) beging Selbstmord, eine ebenfalls bei Hugo Boss beschäftigte Tschechoslowakin starb den Quellen zufolge an "Herzversagen"/"Lungenödem" und eine Zwangsarbeiterin, zwei Russen und ein 15jähriger Franzose (dessen Eltern bei Hugo Boss arbeiteten), wurden bei Fliegerangriffen getötet.

Insbesondere um mehr Informationen über den Selbstmord der bei Boss als Näherin beschäftigten Polin zu erhalten sollten zu diesen Todesfällen ehemalige Zwangsarbeiter/innen und ihre damaligen Metzinger Kolleginnen und Kollegen befragt werden.

 

 

Häftlinge aus dem "Arbeitserziehungslager" Aistaig

Auf Wunsch des Bürgermeisters war 1944 eine Abteilung des "Arbeitserziehungslagers" Aistaig, das der Gestapo unterstand, nach Metzingen verlegt worden.

Die ersten "Arbeitserziehungslager" waren 1937/38 zur Bestrafung von sogenannten "Arbeitsbummelanten" oder von "Arbeitssabotage" eingerichtet worden; später wurden sie auch für andere Häftlingsgruppen als Durchgangsstation zu den Konzentrationslagern benutzt.

Die Metzinger Häftlinge waren in einem stadteigenen Gebäude untergebracht, und die Stadtverwaltung hatte auch ihre Verpflegung übernommen. Diese Häftlinge mußten unter Bewachung in Gruppen zu je fünf Mann in Metzinger Industriebetrieben arbeiten, die jeweiligen Arbeitgeber ersetzten dann der Stadtverwaltung die Ausgaben für die von ihnen in Anspruch genommenen Häftlinge.

Ob auch die Firma Hugo Boss solche Gestapo-Häftlinge beschäftigte, ist nicht bekannt. Hier könnte ebenfalls die Befragung von Zeitzeugen weitere Informationen bringen.

 

 

Kriegsgefangene

In der Firma Hugo Boss arbeiteten von Oktober 1940 bis April 1941 etwa 30 bis 40 französische Kriegsgefangene. Die meisten von ihnen waren etwa 25 Jahre alt, der jüngste war 1917 und der älteste von ihnen 1899 geboren.

Die Kriegsgefangenen waren auf dem Firmengelände in der Kronenstraße 2 untergebracht. Weitere Angaben über die Lebens- und Arbeitsbedingungen dieser Männer liefern die schriftlichen Quellen nicht. Auch hier könnte die Befragung von Zeitzeugen weitere Informationen bringen.

 

 

KZ-Häftlinge

In der Firma Hugo Boss mußten offenbar keine KZ-Häftlinge arbeiten. Dies verwundert nicht, da Untersuchungen gezeigt haben, daß KZ-Häftlinge fast ausschließlich in großen Automobil-, Chemie- und Metallrüstungsbetrieben eingesetzt wurden.

Bei drei polnischen Zwangsarbeiterinnen jedoch geht aus den Quellen nicht eindeutig hervor, ob sie (vorübergehend) im Konzentrationslager Auschwitz inhaftiert waren bzw. ob eine von ihnen dort ermordet wurde: J.G. war im Oktober 1941 erstmals in Metzingen gemeldet; für Dezember 1941 vermerkte das Einwohnermeldeamt ihre Abmeldung "n. Auschwitz". Dasselbe gilt für die ebenfalls bei Hugo Boss arbeitende A.G., vermutlich die Schwester von J.G., die seit September 1940 in Metzingen gemeldet war. Auf der Karte von A.G. ist für Januar 1943 die gleichlautende Abmeldung eingetragen. Bei J.S., erstmals im Mai 1940 "v. Oschwitz Kr. Bielitz" in Metzingen gemeldet, vermerkte die Behörde für August 1941 die Abmeldung "n. Auschwitz Hauptstr. 26". A.G. und J.G. wurden dann im März bzw. Mai 1943 wieder ("v. Auschwitz-Bielitz" bzw. "v. Auschwitz/Polen") in Metzingen angemeldet. Bei J.S. fehlen enden damit die Einträge; über ihr weiteres Schicksal ist nichts bekannt. J.G. nahm sich im Juli desselben Jahres in Metzingen das Leben. A.G. arbeitete weiter bei der Firma Hugo Boss, wohnte aber dem Eintrag auf der Karte zufolge in Neuhausen, bis sie im Februar 1944 nach Reutlingen für die Arbeit im Röhrenwerk Rieber abgemeldet wurde. In der (nach dem Wechsel zu Rieber zuständigen) Reutlinger Behörde geführten Kartei ist für A.G. für Januar 1943 die Abmeldung nach "Auschwitz Kr. Bielitz", für März desselben Jahres die Wiederanmeldung in Metzingen, für Februar 1944 die Abmeldung nach Reutlingen zur Arbeit im Röhrenwerk Rieber und für das Kriegsende ("20.4.45", der Tag des Einmarschs der französischen Truppen in Reutlingen) die Abmeldung von Reutlingen dokumentiert. Alle drei Frauen sind dem Einträgen der Metzinger bzw. Reutlinger Behörde zufolge in "Auschwitz" (J.G.)/"Oschwitz" (A.G. u. J.S.) geboren, so daß aus den oben zitierten Einträgen nicht hervorgeht, ob sie vorübergehend in ihren Geburtsort zurückkehrten (und unter welchen Bedingungen dies geschah) oder ob sie in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert wurden (und was der Anlaß dafür war) und dort mehrere Monate (A.G.) bzw. Jahre (J.G.) inhaftiert waren, bis sie wieder in Metzingen bei Hugo Boss arbeiten mußten, bzw. ob J.S. im KZ Auschwitz ermordet wurde. Sicherheit bzw. zumindest weitere Informationen könnte hier die Befragung von Zeitzeugen erbringen.

 

 

Weitere ausländische Arbeitskräfte

Hugo Boss beschäftigte zwischen 1939 und 1944 einen Schneider und eine Hausangestellte aus der Schweiz. über das Zustandekommen und die Bedingungen dieser Arbeitsverhältnisse gibt es in den Quellen keine Informationen.

Auch hier ist wieder auf mögliche weitere Informationen durch eine Zeitzeugenbefragung hinzuweisen.

 

 

Betriebsverlagerung in die Produktionsräume der Firma Hugo Boss

In den letzten Kriegsjahren schränkten neben Arbeitskräfte-, Rohstoff- und Energiemangel auch Luftangriffe die Rüstungsproduktion immer mehr ein. Aus diesem Grund wurden Rüstungsbetriebe ganz oder teilweise in (zu diesem Zweck stillgelegte) Industriebetriebe im weniger luftkriegsgefährdeten ländlichen Raum verlagert. Eine solche Verlagerung betraf auch die Firma Hugo Boss:

Die in Bad Cannstatt ansässigen Vereinigten Kugellagerfabriken/Norma (VKF) wurden ab Herbst 1943 aus dem stark luftkriegsgefährdeten Stuttgarter Raum in Industriebetriebe der Region Nürtingen-Reutlingen verlagert. In Metzingen wurden die VKF ab Ende 1944 in den Gebäuden der bereits 1942 stillgelegten Samtweberei Ott und in der Produktionsstätte der Firma Boss untergebracht, Nr. 1658, Reichsverteidigungskommissar für den Reichsverteidigungsbezirk Württemberg an die Firma Hugo Boss untergebracht, der man dafür wiederum Räume einer anderen Firma zuwies.

Diese Verlagerung wurde auf Boss' "eigenen Wunsch" durchgeführt: Nach den Angaben eines Geschäftsfreundes hatte er mit einem Antrag auf Teilstillegung seiner Fabrik sozusagen die Flucht nach vorn angetreten, um einen Betrieb seiner Wahl zugeteilt zu bekommen.

Boss' Behauptung nun, daß diese teilweise Stillegung seiner Produktion zugunsten der Metallrüstungsfirma zeige, "wie wenig" er "bei der Partei beliebt" gewesen sei, erscheint angesichts der umfangreichen Betriebsverlagerungen, denen alles weichen mußte, was nicht unmittelbar zur Rüstungsindustrie gehörte, eher als Entlastungsargumentation im Rahmen der Entnazifizierung denn als Tatsachenbeschreibung.

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